Leopoldshöhe (ted). Der Fahrer des Löschfahrzeuges steht vor Uwe Mäscher und gestikuliert. „Das war ganz schön eng“, sagt er. Nur fünf Zentimeter Platz zwischen seinem Aufbau und der Hausecke seien da gewesen. „Und?“, fragt Mäscher, „bist Du durchgekommen?“ Der Fahrer nickt. „Siehst Du, genau das ist der Sinn der Übung.“ Mit Übung meint Mäscher den sogenannten Mot-Marsch der westlippischen Feuerwehren. Seit 25 Jahren organisieren Gemeindebrandinspektor Uwe Mäscher und Brandoberinspektor Gerd Deppe den Marsch – in diesem Jahr zum letzten Mal.
Es ist 5.30 Uhr. Es sind ein paar Grad unter Null. Ein einsamer Feuerwehrmann steht am Schuckenteichweg in Höhe des Bauhofes. Er wartet auf die mehr als 30 teilnehmenden Fahrzeuge des Mot-Marsches. In einer der Hallen der Leopoldshöher Feuerwehrwache schmieren Freiwillige Brötchen und bereiten Kaffee. Mehr als 220 Männer und Frauen aus Leopoldshöhe, Lage, Oerlinghausen Augustdorf, Detmold, Lüdge und Dörentrup müssen mit einem Frühstück versorgt werden. Einige von ihnen werden eine Stunde unterwegs gewesen sein.
Dann kommen sie. Löschfahrzeuge, Rüstwagen, Mannschaftswagen und Einsatzleitwagen. Der DRK-Ortsverband Leopoldshöhe ist mit einem Rettungswagen dabei. Später wird noch die Motorradstaffel der Johanniter dazustoßen. Sie werden die Fahrzeuge bei ihrer Kolonnenfahrt absichern.
Als Uwe Mäscher und Gerd Deppe das erste Mal einen motorisierten Marsch organisierten, waren dem einige große Ereignisse vorausgegangen. 1975 brannte die Lüneburger Heide. Damals organisierte jede Feuerwehr sich selbst. Nachbarschaftliche Hilfe wurde nur ungern angefordert. „Das war damals so“, erinnert sich Uwe Mäscher. Ein Flächenbrand nahe der Ortschaft Stüde in der Südheide war außer Kontrolle geraten. Die örtlichen Feuerwehren waren rasch überfordert, nach zwei Tagen rief der Kreis Celle den Katastrophenfall aus. Kompetenzgerangel, mangende Ausstattung und Ausbildung führten schließlich dazu, dass die Bunderwehr das Kommando übernahm. 15.000 Feuerwehrleute und 11.000 Kräfte verschiedener Bundeseinrichtungen kämpften zehn Tage, bis das Feuer gelöscht war. Fünf Feuerwehrleute kamen ums Leben.
Kurz vor 7 Uhr ruft Mäscher zur Besprechung. Die Gruppenführer bekommen die Anweisungen für den ersten Teil des Marsches. Die Fahrzeuge werden einzeln einen nur für sie geltenden Ort im Raum Paderborn anfahren. Sie sollen sich per Karte orientieren, kleine Orte und Straße befahren. Ihre Mannschaft soll Aufgaben lösen. Punkt 7 Uhr gibt Mäscher den Befehl zur Abfahrt.
„Damals ging das los“, stellt Mäscher fest und meint die Professionalisierung der Freiwilligen Feuerwehren nach dem Heidebrand. Die Feuerwehren bekamen Fahrzeuge mit Allradantrieb, der Funkbetrieb der Feuerwehren und des Katastophenschutzes wurde bundesweit organisiert, Tanklöschfahrzeuge und Schlauchwagen angeschafft. Die Feuerwehren bekamen Einsatzleitwagen. Fernmeldezüge wurden eingerichtet. „Die Führung der Feuerwehren in den Orten und darüber hinaus ist damals nach dem Vorbild der Bundeswehr neu organisiert worden“, sagt Mäscher.
Das Leopoldshöher Löschfahrzeug LF 20 kurvt durch Etteln, Nordborchen, Kirchborchen, zum Flugplatz Haxtergrund und durch Lichtenau. Fotos von Feuerwehrgerätehäusern und Kirche bringen der Mannschaft Extra-Punkte. An der Aarbachtalsperre kommt der Augustdorfer Unimog entgegen. Die Talsperre ist ein Pflichtziel.
In den 1990er Jahren veranstaltete die Kreisfeuerwehr Lippe einen Großbrandübung, erinnert sich Uwe Mäscher. Dem damaligen Gemeindebrandmeister Gerd Elbrächter fiel dabei auf, dass die Fahrer der Fahrzeuge sich mit dem Fahren in der Kolonne und im Verband nicht auskannten. Uwe Mäscher und Gerd Deppe hatten gerade die Führungslehrgänge am Institut der Feuerwehr in Münster abgeschlossen, als sie den Auftrag bekamen. Sie wählten den 1. November, weil bis dahin der Übungsbetrieb abgeschlossen und der Tag ein Feiertag ist. Die Feldküche im Schlepp fuhren fünf Fahrzeuge der Leopoldshöher Wehr bei neun Grad minus auf den Truppenübungsplatz Senne. Im Jahr darauf klinkte sich Ulrich Domke ein. Der war damals Soldat bei den Feldjägern der Bundeswehr. Zu deren Aufgaben gehört es, Fahrten von Verbänden zu organisieren und abzusichern. Domke besorgte die Genehmigungen. „Die Vorlage nehme ich heute noch“, sagt Uwe Mäscher. Dazu gehört auch der Marschbefehl für jedes Fahrzeug.
Nach und nach treffen die Fahrzeuge an der Kreisfeuerwehrzentrale am Flughafen Paderborn ein. Mäscher will dort eine der sechs Wassertransporteinheiten des Landes zeigen. 8.000 Liter Wasser pro Minute können mit Hilfe einer Schwimmpumpe gefördert werden. Schläuche und Pumpe sind in einem Abrollcontainer untergebracht. Jede Feuerwehr kann diese Einheit anfordern, wenn ihr Material für die Bewältigung bei einer Überschwemmung nicht mehr ausreicht.
Im Besprechungsraum der Kreisfeuerwehrzentrale beugen sich die Fahrer über einen Zettel. „Ihr habt alle den Marschbefehl in der Hand“, stellt Mäscher fest. „Da steht drin, auf welchen Straßen wie schnell gefahren werden darf. Ich führe den Verband. Unser Leopoldshöher Rüstwagen ist der Schließende“, erläutert er. Oliver Niekamp hebt die Hand. Er wird am Steuer des letzten Fahrzeugs der Kolonne sitzen. Das Blaulicht und das Abblendlicht solle eingeschaltet werden. Ein Funkkanal wird angegeben. Andreas Beckmann, Sprecher der Motorradstaffel der Johanniter gibt Hinweise: „Wir sperren alle Kreisverkehre und Einmündungen, auch die Auffahrten auf die Autobahn, aber nicht die Autobahnkreuze. Da müssen wir es hinnehmen, dass Private in den Verband einfahren.“ Möglichst rechts sollten die Feuerwehrfahrzeuge fahren, damit die Motorradfahrer vorbeikönnen, mahnt Beckmann. Für die 14 Motorradfahrer und Motoradfahrerinnen aus ganz Nordrhein-westfalne glit der Marsch als Ausbildungsfahrt
Nach und nach reihen sich die Fahrzeuge ein. In der Mitte der Kolonne fahren die Mannschaftstransportwagen, was sich auf der Autobahn 33 als Herausforderung darstellen wird. Auf der Landstraße sollen die Fahrzeuge mit maximal 20 Metern Abstand fahren, in den Ortschaften mit zehn Metern. Auf der Autobahn sollen es 50 Meter sein. Dort darf die Kolonne mit 70, auf der Landstraße mit 60, in den Ortschaften mit 40 Kilometern in der Stunde unterwegs sein.
Ralf Schneidermann müht sich. Er versucht mit dem 12 Tonnen schweren Löschfahrzeug an den Mannschaftstransportwagen (MTW) dran zu bleiben. Plötzlich muss er in die Bremse steigen. Ein wütender Funkspruch kommt aus einem Fahrzeug hinter ihm. Ganz andere Problem hat Oliver Niekamp im letzten Fahrzeug. „Ich habe nur noch gesehen, wie der Kühlergrill im Rückspiegel immer größer geworden ist. Plötzlich habe ich einen roten Blitz neben mir vorbeifahren gesehen“, berichtet Christian Aufenberg, der Fahrer des Leopoldshöher DRK-Rettungswagens. Niekamp hatte gerade noch ausweichen können. „Das sind so typische Sachen“, stellt Uwe Mäscher fest. Die MTW beschleunigen und bremsen schneller als die großen Löschfahrzeuge. „Die Kunst ist das gleichmäßige, vorausschauende Fahren“, meint ein Feuerwehrmann, der die Kolonnenfahrt bei der Bundeswehr gelernt hat. Genau das sei das Ziel des Mot-Marsches, sagt Uwe Mäscher. Gerade in den vergangenen zehn Jahren habe sich der Wert dieser Ausbildung gezeigt. In etlichen überörtlichen Einsätzen hätten Feuerwehrverbände über größere Entfernungen verlegt werden müssen. „Wenn die Leute das nicht können, gibt es Probleme“, meint er.
Für Mäscher und Deppe ist dieser Marsch der Letzte. Lars Koppmann, Christopher Dove und Petra Schubert von der Feuerwehr Leopoldshöhe werden ihn im kommenden Jahr organisieren. „Das sind große Schuhe, die die beiden da hinterlassen haben“, meint Lars Koppmann.
Der motorisierte Marsch soll ausbilden und Freude machen. Da alle Teilnehmer Freiwillige sind, gibt es einen Wettbewerb. Das kreativste Foto wird gewertet. Daneben bekommt jede Mannschaft einen Bogen mit Fragen zu Politik, Gesellschaft und Feuerwehrtechnik, muss ein Kreuzworträtsel lösen und bestimmte Orte in einer teilweise selbst gewählten Reihenfolge anfahren. Den Fotowettbewerb gewann die Mannschaft des DRK Leopoldshöhe. Sieger des Orientierungswettbewerbes ist eine Gruppe der Freiwilligen Feuerwehr Holzhausen, die mit einem Hilfeleistungslöschfahrzeug (HLF) 20 unterwegs war.